Ein Quanten-Krimi

Anhang 1

Ein Quanten-Krimi
Anhang 1: Bellsche Ungleichung

Motivation

Die Bellsche Ungleichung ist ein Test für jedes Modell der Quantenmechanik.
Auf eine Herleitung der Ungleichung wird hier verzichtet. Wer an einer solchen interessiert ist, dem sei das Buch von Anton Zeilinger Einsteins-Spuk empfohlen.
In diesem Teil wird überprüft, ob das Quantenwellen-Modell die experimentellen Ergebnisse korrekt vorhersagt. Dem finalen Experiment werden wir uns Schritt für Schritt nähern.
Die Simulationen beruhen auf Wahrscheinlichkeiten, die auf Basis des Quantenwellen-Modells ermittelt werden. Es werden nicht einfach nur Werte berechnet, sondern "echte" Versuche simuliert. Darum können die Ergebnisse von Simulationen bei Verwendung identischer Parameter voneinander abweichen.
Die hier simulierten Experimente basieren im Wesentlichen auf Beschreibungen in J. Audretsch: "Wieviele Leben hat Schrödingers Katze?" Seite 55ff.

1. Versuchsaufbau bei Alice

Wir verwenden zunächst eine Lichtquelle (unten blau), die bei jedem Auslösen nur ein Lichtobjekt (Photon) emittiert - eine sogenannte Ein-Photonen-Quelle. Gemäß des hier verwendeten Modells wird bei jedem Betätigen eine Quantenwelle ausgesendet.
In einem gewissen Abstand befindet sich das Labor von Alice (oben). Das von der Quelle ausgesandte Licht kann durch zwei Detektoren A1+ und A1- registriert werden. Beide Detektoren sind senkrecht zueinander ausgerichtet und reagieren nur auf die Komponenten einer Lichtwelle in der jeweils dargestellten Richtung.
Wir emittieren eine linear polarisierte Quantenwelle
Welcher Detektor wird ansprechen?
Die Wahrscheinlichkeit der Wechselwirkung einer Quantenwelle mit einem anderen Objekt hängt von der Stärke der Welle an dem betrachteten Ort ab (exakter: vom Quadrat). Quantenwellen stellen eine periodische Änderung der physikalische Größe Drehimpuls dar. Da die Detektoren nur für die Komponente des Drehimpulsvektors empfindlich sind, die in eine bestimmte Richtung zeigt, betrachten wir die Projektionen des Drehimpulsvektors der Quantenwelle auf diese Richtungen .
Auf den Detektor A1+ wirkt nur die vertikale Komponente der Welle, auf A1- nur die horizontale. Die Quadrate der Projektionen bestimmen die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung mit dem jeweiligen Detektor.
Wir emittieren nun einzelne Quantenwellen, die unter einem Winkel von 30 Grad zur horizontalen Achse linear ploarisiert sind, und schauen, welcher Detektor anspricht .
Ergebnis: Wir können es nicht vorhersagen, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit für das Ansprechen der Detektoren angeben.
Ob sich nach vielen Einzelmessungen ein Muster ergibt? Unsere Quelle gestattet das automatische Aussenden einzelner Photonen in kurzen Zeitabständen
summierte EinzelmessungenGesetz von Malus
A1+ A1- A1+ in % A1- in % A1+ in % A1- in %
In den beiden rechten Spalten sehen Sie die theoretischen Vorhersagen gemäß dem Gesetz von Malus. Dieses wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von Louis Malus aufgestellt. Damals gab es noch keine Ein-Photonen-Quellen. Das Gesetz von Malus liefert die Erwartungswerte für eine sehr große Anzahl Photonen.
Um ein Gefühl für die Vorgänge zu bekommen, können Sie den Polarisationswinkel der emittierten Quantenwelle variieren:
30 Grad (Winkel relativ zur horizontalen Achse)

2. Versuchsaufbau bei Bob

Bob ist ein Kollege von Alice und arbeitet in einem identisch ausgestatteten Labor.
Damit auch Bob Licht für seine Messungen erhält, verwenden wir nun eine Zwei-Photonen-Quelle. Diese emittiert bei jedem Auslösen ein Photon zu Alice und ein Photon zu Bob. Das Besondere: Die Photonen sind nicht voneinender unabhängig, sondern aufgrund Ihres Entstehungs-Prozesses eng korreliert (verschränkt).
Die Art der Korrelation hängt von der Quelle ab. In unserem Fall besteht diese in Folgendem: Misst Alice bei einem Photon eine bestimmte Polarisationsrichtung, so nimmt auch das in Richtung Bob gesendete Photon sofort diese Polarisationsrichtung an.
Im Bilde der Quantenwellen könnten wir uns dies so vorstellen: Die Quantenwelle, welche zu Alice emittiert wurde, besitzt eine zufällige Polarisationsrichtung (schwarze Linie bei Alice). Gemäß den im ersten Teil beschriebenen Wahrscheinlichkeiten wechselwirkt die Welle mit einem der beiden Detektoren A1+ und A1- (rote Linie bei Alice). Dies führt zum "Kollaps" der Quantenwelle auf diesen Zustand (siehe Teil 4). Aufgrund der Korrelation der beiden Quantenwellen wechselt auch die Welle bei Bob in diesen Polarisationszustand (schwarze Linie in Bob's Labor).
Um einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen bei Alice und Bob herstellen zu können, weisen wir den Detektoren Zahlen zu:
Detektion beizugeordnete Zahl
A1+ +1
A1- -1
B1+ +1
B1- -1
Nach jedem Auslösen der Quelle erhalten wir somit einen Wert von Alice und einen von Bob. Von diesen beiden Werten bilden wir das Produkt. Bitte klicken Sie oben auf "Quelle auslösen".
Polarisationswinkel
der emittierten Welle
Labor Alice Labor Bob Produkt
Egal, wieviele Messungen wir auch ausführen: Das Produkt in der rechten Spalte beträgt immer +1. Warum? Der Plus- bzw. Minus-Detektor bei Bob ist parallel zum jeweiligen Detektor bei Alice ausgerichtet. Eine Messung bei Alice überführt die Quantenwelle bei Bob aufgrund der Korrelation in eine Polarisationsrichtung, die exakt mit der Richtung des korrespondierenden Detektors übereinstimmt. Die Projektion der Quantenwelle auf den anderen Detektor ist Null, somit auch die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung.

3. Gedrehte Versuchsaufbauten

Wir drehen den Versuchsaufbau bei Bob so, dass die Detektoren bei Bob nicht mehr parallel zu jenen bei Alice ausgerichtet sind.
Sie können den Drehwinkel β vorgeben:
30 Grad (Winkel relativ zur horizontalen Achse)
Damit führen wir Messungen an Photonen-Paaren durch, die von der Quelle in einer zufälligen Polarisationsrichtung emittiert wurden
WQ Labor Alice Labor Bob Produkt
WQ: Polarisationswinkel der emittierten Quantenwelle in Bezug zur horizontalen Achse
Wir starten nun viele solcher Messungen an Photonen-Paaren:
In der letzten Spalte [∅Produkt] wird der Mittelwert der Produkte der Einzelmessungen angezeigt. Dies ist der Korrelationskoeffizient E.
Gemäß der Quantenmechanik gilt für den Erwartungswert des Korrelationskoeffizienten die Beziehung
E (Alice, Bob) = cos 2 β.

4. Letzte Vorbereitungen

Damit wir das Experiment zur Überprüfung der Bellschen Ungleichung durchführen können, muß auch der Aufbau im Labor von Alice drehbar sein.
Labor von Alice:
10 Grad
Labor von Bob:
30 Grad
Wir führen wieder Messungen an Photonen-Paaren durch, die von der Quelle in einer zufälligen Polarisationsrichtung emittiert wurden.
Anzahl Messungen WQ Labor Alice Labor Bob Produkt E
WQ: Polarisationswinkel der emittierten Quantenwelle in Bezug zur horizontalen Achse in Grad
E: Korrelationskoeffizient (Mittelwert der Produkte)

5. Einzelmessungen

Zur Überprüfung der Bellschen Ungleichung werden zwei verschiedene Ausrichtungen der Messvorrichtung im Labor von Alice mit zwei Ausrichtungen der Messvorrichtung im Labor von Bob kombiniert. Die Ausrichtungen könnten wie folgt festgelegt werden:
  • Labor Alice Einstellung 1 (A1): 0 Grad
  • Labor Bob Einstellung 1 (B1): 30 Grad
  • Labor Alice Einstellung 2 (A2): 60 Grad
  • Labor Bob Einstellung 2 (B2): 90 Grad
Die Differenz zwischen den Winkeln ist ein fester Wert, in unserem Beispiel 30 Grad.
Anhand von Simulationen gemäß des Quantenwellen-Modells ermitteln wir die Korrelationskoeffizienten E  für folgende Kombinationen:  E(A1,B1)  E(A1,B2)  E(A2,B1)  E(A2,B2).
Anzahl Messungen WQ Labor Alice Labor Bob Produkt E
WQ: Polarisationswinkel der emittierten Quantenwelle in Bezug zur horizontalen Achse in Grad
E: Korrelationskoeffizient (Mittelwert der Produkte)
Die Bellsche Ungleichung - angewandt auf unser Experiment - führt zu folgender Relation:
2 | E(A1,B1) - E(A1,B2) + E(A2,B1) + E(A2,B2) |
2 - + +
2
| = Betragsstriche
Bitte überprüfen Sie, ob diese Ungleichung verletzt wird.
Sie können den Winkel, um den die Messvorrichtungen gedreht werden, selbst vorgeben. Bei einer Änderung des Winkels starten Sie die Messreihe bitte neu.
30 Grad
  • Labor Alice Einstellung 1 (A1): 0 Grad
  • Labor Bob Einstellung 1 (B1): 30 Grad
  • Labor Alice Einstellung 2 (A2): 60 Grad
  • Labor Bob Einstellung 2 (B2): 90 Grad

6. Messreihen

Den Wert für S (das Ergebnis der Ungleichung) möchten wir für verschiedene Winkeleinstellungen messen. Wir beauftragen Neo mit der Programmierung einer automatischen Versuchsdurchführung. Nach einigen Tagen präsentiert er uns das

Auto-Level 1

Bitte geben Sie den Differenz-Winkel der Messvorrichtungen an:
30 Grad
  • Labor Alice Einstellung 1 (A1): 0 Grad
  • Labor Bob Einstellung 1 (B1): 30 Grad
  • Labor Alice Einstellung 2 (A2): 60 Grad
  • Labor Bob Einstellung 2 (B2): 90 Grad
Klicken Sie dann auf Es werden alle 4 Kombinationen der Versuchsaufbauten realisiert.
2 E(A1,B1) - E(A1,B2) + E(A2,B1) + E(A2,B2)
2 ? - ? + ? + ?
2 |S|
Für jede Kombination werden 50000 Photonenpaare vermessen. Die Simulationen beruhen auf in Echtzeit ermittelten Wahrscheinlichkeiten, die gemäß des Quantenwellen-Modells bestimmt werden. Darum können Abweichungen zwischen Versuchsreihen mit identischen Parametern auftreten.
Aber Neo kann noch mehr. Im

Auto-Level 2

werden alle Winkel von 0 bis 90 Grad automatisch vermessen. Die jeweiligen Korrelationskoeffizienten tragen wir in eine Grafik ein

7. Fazit

Im Quantenwellen-Modell führt die Wechselwirkung der Welle mit einem anderen Objekt zu einem instantanen (sofortigen) Kollaps der Quantenwelle. Ist diese mit einer anderen Quantenwelle korrelliert (verschränkt), so ändert sich auch der Zustand der anderen Welle sofort -> das Quantenwellen-Modell ist nicht-lokal. Insofern ist zu erwarten, dass die Bellsche Ungleichung verletzt wird (wie es auch reale Experimente gezeigt haben).
Die Bellsche Ungleichung wird gern herangezogen, wenn es um die Frage des Realismus geht. Bezüglich des Realismus in der Quantenmechanik gibt es zwei gegensätzliche Ansichten:
  • Die realistische Position geht davon aus, dass ein Quantenobjekt physikalische Eigenschaften hat oder nicht hat. So wie ein Fußball die Eigenschaft "Ort" besitzt, gilt dies demnach auch für ein Elektron. Durch Messungen werden nur Eigenschaften abgelesen, die vor der Messung und unabhängig von der Messung bereits feststanden. Dass wir die zu erwartenden Messwerte nur mit Wahrscheinlichkeiten angeben können, liegt an der Unvollständigkeit unserer Kenntnisse. Beispiel: De-Broglie-Bohm-Theorie.
  • Die instrumentalistischen Position besagt, dass es sich bei den mathematischen Methoden der Quantenmechanik um abstrakte Werkzeuge handelt, die nicht als eine Abbildung der Realität aufzufassen sind. Ein Quantenobjekt besitzt keine physikalische Eigenschaften wie Ort oder Impuls, solange wir keine Messung durchführen. Wir messen zwar bestimmte Werte mit einer berechenbaren Wahrscheinlichkeit, diese Werte waren aber vor der Messung noch nicht vorhanden. Beispiel: Kopenhagener Deutung.
Wie ordnen wir das Quantenwellen-Modell ein?
  • Es handelt sich nicht um eine instrumentalistischen Position, da die mathematischen Methoden einem realen physikalischen Objekt (der Quantenwelle) zugordnet werden. Es herrscht zwar auch der Zufall - während dieser in der Kopenhagener Deutung intrinsisch und somit nicht erklärbar ist, erhält er im Quantenwellen-Modell eine physikalische Begründung: Der Wert (genauer: das Quadrat) des Drehimpulses der Quantenwelle an einem bestimmten Ort definiert die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es an diesem Ort zu einer Wechselwirkung kommt.
  • Es handelt sich auch nicht um eine realistische Position im oben angegebenen Sinn. Es ist nicht so, dass das Quantenobjekt eine feste Eigenschaft (verborgener Parameter) hat oder nicht hat und nur diese feste Eigenschaft gemessen oder nicht gemessen werden kann. Quantenwellen verkörpern eine periodische Änderung der Größe Drehimpuls. Dabei handelt es sich um einen Vektor. Dieser kann Komponenten in unterschiedliche Richtungen aufweisen. Somit kann eine (linear polarisierte) Quantenwelle mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einem Detektor wechselwirken, der nur für Richtungen außerhalb der Polarisationsebene der Welle empfindlich ist. Auch der Ort der Wechselwirkung ist unsicher: Die Welle kann zunächst über einen großen Bereich "verschmiert" sein, die Wechselwirkung erfolgt aber lokal. Man kann somit nicht sagen, dass die gemessene Eigenschaft (z.B. der Ort) bereits vor und unabhängig von der Messung feststand.