Literatur über Quantenmechanik ist voller abstrakter Begriffe: Zustände, Operatoren, Räume, Unschärfe...
So sehr sich die Autoren auch um Erklärungen bemühen: Diese sind im Rahmen der Standard-Theorie einfach nicht möglich,
da es keine adäquate Abbildung der mathematischen Werkzeuge zur realen physikalischen Welt gibt.
In diesem Anhang widmen wir uns den "Zuständen".
1. Wir bekommen Zustände
Gemäß dem zum Zwecke der Simulation entwickelten Modell können Quantenwellen mit anderen Objekten wechselwirken.
Die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung wird durch das Quadrat der "Stärke" der Welle an dem betrachteten Ort festgelegt,
d.h. durch das Quadrat des Drehimpulses am Ort der möglichen Wechselwirkung.
Bislang haben wir für die Wechselwirkungs-Wahrscheinlichkeit nur den Betrag des Drehimpulses betrachtet.
Es gibt aber Objekte, z.B. bestimmte Detektoren, für die auch die Richtung des Drehimpuls-Vektors der Welle berücksichtigt werden muss.
In der Abbildung
sehen Sie mögliche Schwingungsrichtungen linear polarisierter Quantenwellen.
Die roten Pfeile veranschaulichen Betrag und Richtung des Drehimpulsvektors.
In unserem nächsten Experiment verwenden wir zwei Detektoren D,
die jeweils nur auf Wellenanteile einer bestimmten Polarisationsrichtung reagieren
D[h] ist nur für Schwingungsanteile in horizontaler Richtung empfindlich,
D[v] nur für die vertikalen Komponenten.
Die Quantenwelle sei in einem Winkel von 45 Grad zu den Detektoren polarisiert
.
Auf den Detektor D[h] wirkt nur die horizontale Komponente der Welle,
auf D[v] nur die vertikale
.
Beide Komponenten sind gleich groß.
Ihre Beträge
bestimmen die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung mit dem jeweiligen Detektor.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die im Winkel von 45 Grad polarisierte Welle mit D[h] wechselwirkt,
ist genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung mit D[v].
Bei einem Winkel ungleich 45 Grad sind die Beträge der horizontalen und vertikalen Komponente des Drehimpuls-Vektors verschieden
.
Im Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung mit D[v] größer
als die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung mit D[h].
Nach oftmaliger Wiederholung des Versuchs mit einzelnen Quantenwellen
werden mehr Wechselwirkungen mit D[v] registriert werden als mit D[h].
Da wir zwei Zustände messen (D[v] und D[h]), handelt es sich um ein "Zwei-Zustands-System".
Entscheidend für die Messung der Welle in einem der beiden Zustände ist die "Projektion des Drehimpuls-Vektors" auf diese Zustände.
Soweit, so unspektakulär...
2. Übersetzungen
Zur Wiederholung:
Die Wahrscheinlichkeit der Wechselwirkung einer Quantenwelle mit einem Objekt (z.B. einem Detektor),
wird durch die Größe des Drehimpulses der Welle am Ort des Objektes bestimmt.
Ist für die Wechselwirkung auch die Schwingungsrichtung relevant,
so muss die Projektion der Quantenwelle auf diese Richtung betrachtet werden,
d.h. die Komponente des Drehimpulsvektors in diese Richtung.
Diese physikalischen Sachverhalte werden in der Standard-Interpretation abstrakt formuliert:
Standardtheorie: Abstraktions-Level 1
Die Welle wird nicht als physikalisches Objekt mit einer
Amplitude von 1,656·10-34 kg·m·m/s angesehen,
sondern als einheitenlose Funktion.
Diese Wellenfunktion beschreibt den Zustand eines Objektes und
wird als quantenmechanischer Zustand |Ψ〉 bezeichnet.
Diesen zerlegen wir in einen Basiszustand |h〉 (horizontal),
und einen Basiszustand |v〉 (vertikal),
beide normiert auf die Länge 1.
Die Anteile der Basiszustände |h〉 und |v〉 am quantenmechanischen Zustand |Ψ〉
werden durch (komplexe) Zahlen angegeben. Ein Beispiel wäre
Der Zustand |Ψ〉 kann als eine Überlagerung der Basiszustände |h〉 und |v〉 ausgedrückt werden:
Die Zahlen vor dem Zustand heißen Wahrscheinlichkeitsamplitude.
Quadriert man diese, erhält man die Wahrscheinlichkeit dafür,
das Quantenobjekt bei einer Messung im jeweiligen Zustand vorzufinden.
Im Quantenwellen-Modell würden wir sagen:
Der Drehimpuls-Vektor der Quantenwelle kann in eine horizontale und in eine vertikale Komponente zerlegt werden,
welche in unserem Beispiel beide denselben Wert
haben.
Standardtheorie: Abstraktions-Level 2
Wir schreiben den Zustand unseres Beispiels in Form eines Vektors auf:
Diesen nennen wir Zustandsvektor.
In unserem Beispiel bestehen die Komponenten des Zustandsvektors aus Zahlen des zweidimenionalen "Polarisationsraumes".
Standardtheorie: Abstraktions-Level 3
Somit sind wir schon bei Räumen.
Unter einem "Raum" versteht man landläufig ein Konstrukt, in dem man ein Objekt an einer bestimmten Stelle positionieren kann.
Der Bildschirm, auf den Sie gerade schauen, wäre z.B. ein zweidimensionaler Raum.
Unten können Sie sich eine horizontale X-Achse denken, links eine vertikale Y-Achse.
Wir kennen weitere zwei- oder mehrdimensionale Konstrukte, die man als "Raum" bezeichnet,
z.B. Farbräume.
Wir sagen Farbraum, obwohl niemand erwartet, dass wir dort herumlaufen können.
Gemeinsam ist den "Räumen", dass wir Punkte oder Vektoren durch Koordinaten beschreiben können.
Das Koordinatensystem eines Raumes muß also nicht unbedingt Orte (Ortsraum)
oder Farben (Farbraum) beschreiben. Wir können auch die oben erwähnten Basiszustände |h〉 und |v〉 verwenden.
Schon haben wir einen abstrakten mathematischen Raum konstruiert - nennen wir ihn "Polarisationsraum".
Der Zustand |Ψ〉 ist dann ein Vektor in diesem Raum.
3. Kontinuierliche Zustände
In Teil 2 haben wir eine Quantenwelle in einen Potentialtopf eingesperrt.
Die Ausbildung stehender Wellen ist an folgende Bedingung geknüpft:
Breite des Potentialtopfes = Vielfaches der halben Wellenlänge.
In der Grafik
sehen Sie eine stehende "Elektronenwelle".
Laut Quantenwellen-Modell handelt es sich dabei um ein reales Objekt
mit der Amplitude 1,656·10-34 kg·m·m/s.
In dem Kasten platzieren wir mehrere Detektoren
.
Mit welchem Detektor wird die Welle wechselwirken?
Richtig, wir wissen es nicht!
Wir können nur sagen: Je "stärker" die Welle an dem betrachteten Ort ist,
umso größer ist die Wahrscheinlichkeit der Wechselwirkung.
Standardtheorie: Abstraktions-Level 1
In der Standardtheorie wird das Elektron nicht als reale Welle,
sondern als ein punktförmiges Teilchen angesehen.
Man darf es sich aber nicht als Punkt vorstellen, da es kein punktförmiges Objekt ist.
Die zugehörige Welle ist eine abstrakte mathematische Funktion,
welche den Zustand dieses Teilchens beschreibt (darum Zustandsfunktion).
In unserem Beispiel charakterisiert die Welle die Wahrscheinlichkeit dafür,
dass das Elektron bei einer Messung an einem bestimmten Ort detektiert wird.
Diese "Wahrscheinlichkeitswelle" ist kein Maß dafür,
dass sich das Elektron vor der Messung an einem bestimmten Ort befunden hat.
Vor der Messung hatte das Elektron keine Eigenschaft "Ort".
Diese Eigenschaft bekommt das Elektron erst durch den Messprozess.
😵
Standardtheorie: Abstraktions-Level 2
Bislang haben wir die Orte (die horizontale Achse) als eine kontinuierliche Verteilung betrachtet.
Wir definieren nun drei diskrete Orts-Abschnitte
.
Mit diesen kann der Zustand des Elektrons als Zustandsvektor |Ψ〉 ausgedrückt werden:
Der Zustand |Ψ〉 des Elektrons ist demzufolge eine Überlagerung von drei Orts-Basiszuständen.
Den Potentialtopf könnten wir statt in drei Orts-Abschnitte, auch in zehn, tausend,
ja praktisch unendlich viele winzigste Abschnitte unterteilen.
Der Zustandsvektor würde dann unendlich viele Dimensionen annehmen:
Standardtheorie: Abstraktions-Level 3
Wenn wir schon mit Dimensionen hantieren, ist die Konstruktion eines Raumes naheliegend.
Die Zeilen des obigen Zustandsvektors bilden die senkrecht aufeinander stehenden Achsen des Raumes.
Da es unendlich viele Basiszustände gibt, ist der Raum unendlich dimensional.
Die in der Standardtheorie benutzten abstrakten "Zustände" lassen sich letztlich auf die unterschiedlichen Eigenschaften
von Quantenwellen an verschiedenen Orten oder zu verschiedenen Zeiten zurückführen.
4. Operatoren
Der Impuls eines klassischen Objektes, z.B. eines Fußballes,
läßt sich durch einfache Multiplikation ermitteln: Impuls = Masse mal Geschwindigkeit.
Auch zur Ermittlung anderer Größen genügen oftmals einfache mathematische Operationen,
wie Addition und Multiplikation.
Für die Bestimmung von Impuls und Energie von Quantenwellen hingegen
gibt es keine Analogie in der gewohnten Alltagswelt:
Der Impuls einer Quantenwelle entspricht ihrer mittleren örtlichen Änderung.
Die Energie einer Quantenwelle entspricht ihrer mittleren zeitlichen Änderung.
Auf die Quantenwelle wird eine mathematische Operation (z.B. die 1.Ableitung nach dem Ort) angewendet,
um eine bestimmte Eigenschaft (z.B. den Impuls) zu berechnen.
Da man diese Eigenschaft mit einem Messgerät direkt beobachten kann, wird sie als Observable bezeichnet.
Die mathematische Operation nennt man Operator.
In der Standardtheorie sieht man Quantenobjekte nicht als reale Wellen an,
sondern als punktförmige Objekte, deren Zustand durch abstrakte Konstrukte
(Wellenfunktion, Zustandsvektor) beschrieben wird. Es gibt eine Trennung zwischen Objekt und Zustand.
Um meßbare Eigenschaften wie Impuls und Energie (Observable) berechnen zu können,
werden auf die abstrakten Wellenfunktionen / Zustandsvektoren die entsprechenden Operatoren angewendet.
Allerdings sind in den Formeln der Standardtheorie weitere Parameter erforderlich,
um physikalisch sinnvolle Ergebnisse und Einheiten zu erhalten.
Der physikalische Hintergrund der Operatoren (z.B. Ableitung der Wellenfunktion nach Ort / Zeit)
liegt letztlich in den beiden oben aufgeführten Eigenschaften von Quantenwellen.
Im Quantenwellen-Modell gibt es keine Trennung zwischen Objekt und Zustand. Die Welle ist das Objekt.